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Die Musik von Philipp Maintz zeichnet eine Ambivalenz aus, die in Musikwerken früherer Zeiten eher unüblich war: sie verrät in ihrer Materialbehandlung und ihrer manchmal rauen, mitunter „suchend“ wirkenden Klanglichkeit eine Verpflichtung gegenüber dem Erbe der musikalischen Moderne, aber scheint die aus der Bindung an dieses Erbe resultierenden Bedrängungen und Beschränkungen doch auch unverkrampft und lustvoll überspringen zu wollen. Bezeichnend dafür ist ein Kommentar zu seinem Streichquartett mit dem Titel INNER CIRCLE. Darin spricht der 1977 geborene Komponist etwas salopp vom „beethovenbartókarditti-angstfaktor“ - den er zwar eingesteht, aber zugleich zu überwinden sucht. Beim Hören des bei den Wittener Kammermusiktagen uraufgeführten Werkes kann man erleben, wie kreativ und an manchen Stellen fast virtuos Philipp Maintz mit diesem Traditionsaspekt umgeht (der um so umfassender und gravierender ist, als der Name „Arditti“ für den immensen, fast einschüchternden Reigen von Uraufführungen des letzten Vierteljahrhunderts steht).

Seine Klangsprache, die Maintz im gleichen Zusammenhang betont nüchtern als „eine gewisse balance aus seriellem denken, wildwuchs, kalkül und intuitiver entscheidung“ beschreibt, zeichnet sich vor allem durch ihre immensen Energiepotentiale und deren sorgsam differenzierte Verknüpfung aus. Den strukturalistischen Dimensionen der einschlägigen Werke von Brian Ferneyhough oder Helmut Lachenmann scheint dies nicht unverwandt, doch erlaubt sich die Musik von Philipp Maintz einen freieren Umgang mit allen selbst gesetzten konstruktivistischen Gestaltungen. Im Gegensatz zu etlichen seiner Generationsgenossen sieht er in der Strukturgenerierung seiner Kompositionen entschieden mehr als raffinierte Trumpfkarten, die er bloß noch leichthändig auszuspielen brauchte. Es geht ihm erklärtermaßen darum, mit Perspektiven der Wahrnehmung zu spielen, doch dabei zugleich eine Sinnlichkeit zu entwickeln, die auf stringente Weise um das Moment des Poetischen kreist. Das unterscheidet ihn von allen eindimensionalen Verfechtern einer komponierenden „Spaßgeneration“. Doch das unterscheidet ihn wohl auch vor der Strenge der emphatischen „ersten“ Moderne, macht ihn eher zu einem Repräsentanten der seit einiger Zeit auch im Musikbereich diskutierten „Zweiten Moderne“. Für die Konzeption der Musikwerke von Philipp Maintz heißt dies: Alles Systemhafte ist instabil, an den Rändern des einmal Festgelegten erwachsen immer neue Gestaltungsräume. Beim Hören der oft komplexen Werke ergibt sich häufig der Eindruck von Strukturbildungen, die dem frei Wuchernden abgerungen sind. Das macht einen Teil des Reizes aus, dieser Musik zu folgen.

Immer wieder entdeckt man in den Kompositionen von Philipp Maintz Momente der nicht-linearen Verästelung sowie der nachdrücklichen Zuspitzung. heftige landschaft mit 16 bäumen heißt ein Orchesterwerk für die Salzburger Festspiele 2005, es ist die erste groß besetzte Komposition von Philipp Maintz. Hier wie in anderen Stücken arbeitet der Komponist mit Schleifentechniken, die innerhalb der scheinbar frei wuchernden Klanglandschaften auf Wiedererkennbarkeit hinauslaufen. Doch auch dieses Werk ist ein Gewebe vielfältiger Verzweigungen und Irrungen, eine Musik der nachdrücklichen Such-Bewegungen jenseits symphonischer Patentrezepte und vor allem jenseits aller auftrumpfend-monumentalisierenden Beschwörung von Tradition.

 

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